Der Igel aber stand vor seiner Tür, hatte die Arme übereinander geschlagen[63], sah dabei in den Morgenwind und summte ein kleines Liedchen[64]. Indem er so sang, fiel ihm auf einmal ein[65], er könnte doch, während seine Frau die Kinder wusch und anzog, ein bisschen ins Feld spazieren und nach seinen Steckrüben sehen. Gesagt, getan[66]. Der Igel machte die Haustür hinter sich zu und schlug den Weg nach dem Felde ein[67]. Er war noch nicht weit vom Hause weg und wollte um den Schlehenbusch, der dort vor dem Feld steht, nach dem Steckrübenacker[68] abbiegen, als ihm der Hase begegnete, der seinen Kohl besehen wollte. Als der Igel den Hasen sah, bot er ihm einen freundlichen guten Morgen. Der Hase aber, der auf seine Weise ein vornehmer Herr[69] war, und grausam und hochfahrend dabei, antwortete nicht auf des Igels Gruß, sondern sagte zum Igel mit höhnischer Miene[70]: „Wie kommt es denn, daß du schon so früh am Morgen im Feld herumläufst?“ – „Ich geh spazieren,“ sagte der Igel. „Spazieren?“ lachte der Hase, „ du könntest die Beine auch wohl zu besseren Dingen gebrauchen[71].“ Diese Antwort verdross den Igel ungeheuer[72], denn alles konnte er ertragen, aber auf seine Beine ließ er nichts kommen,[73] eben weil sie von Natur aus schief waren. „Du bildest dir wohl ein,“ sagte nun der Igel zum Hasen, „daß du mit deinen Beinen mehr ausrichten kannst?“ – „Das denke ich,“ sagte der Hase. „Das käme auf einen Versuch an[74],“ meinte der Igel, „ich wette, daß wenn wir einen Wettlauf machen, ich an dir vorbeilaufe.“ – „Das ist zum Lachen[75], du mit deinen schiefen Beinen,“ sagte der Hase, „aber das kann man machen, wenn du so große Lust darauf hast. Was gilt die Wette?“ – „Einen goldenen Louisdor und eine Buddel Branntwein[76],“ sagte der Igel. „Angenommen,“ sprach der Hase, „Dann kann es gleich losgehen. „ – „Nein, so große Eile hat es nicht,“ meinte der Igel, „erst will ich nach Hause gehen und ein bisschen frühstücken. In einer halben Stunde bin ich wieder hier auf dem Platz.“
Unterwegs dachte der Igel: Der Hase verlässt sich auf seine langen Beine, aber ich will ihn schon kriegen[77]. Er ist zwar ein vornehmer Herr, aber doch nur ein dummer Kerl, und bezahlen soll er doch. Als nun der Igel zu Hause ankam, sprach er zu seiner Frau: „Frau, zieh dich schnell an, du musst mit mir aufs Feld gehen.“ – „Was gibt es denn?“ sagte seine Frau. „Ich habe mit dem Hasen gewettet um einen goldenen Louisdor und eine Buddel Branntwein; ich will mit ihm um die Wette[78] laufen, und du sollst mit dabei sein.“ – „O mein Gott, Mann,“ jammerte nun seine Frau, „bist du nicht recht gescheit? Hast du denn ganz den Verstand verloren?[79] Wie kannst du mit dem Hasen um die Wette laufen wollen?“ – „Halt‘s Maul[80],“ sagte der Igel, „das ist meine Sache. Misch dich nicht in Männergeschäfte[81]! Marsch, zieh dich an und komm mit!“ Was sollte Igels Frau machen? Sie musste wohl folgen.
Wie sie nun miteinander unterwegs waren, sprach der Igel zu seiner Frau: „Siehst du, auf dem langen Acker dort wollen wir unseren Wettlauf machen. Der Hase läuft in der einen Furche und ich in der andern, und von oben fangen wir an zu laufen. Nun hast du weiter nichts zu tun, als[82] dich hier unten in die Furche zu stellen, und wenn der Hase auf der andern Seite ankommt, so rufst du ihm: ‚Ich bin schon hier‘.“
Der Igel zeigte seiner Frau den Platz und ging nun den Acker hinauf. Als er oben ankam, war der Hase schon da. „Kann es losgehen?“ sagte der Hase. „Jawohl,“ sagte der Igel. „Dann also los!“ Und damit stellte sich jeder in seine Furche. Der Hase zählte: „Eins, zwei, drei!“ und los ging es wie ein Sturmwind