«Also auch Sie schwärmen für die moderne Frau, für ein armes, hysterisches Weib, das im Jagen nach einem männlichen Ideal den besten Mann nicht schätzt. Unter Tränen und Krämpfen verletzen Sie täglich Ihre christlichen Pflichten, betrügend und betrogen. Immer wieder suchen und wählen und verwerfen. Nie glücklich sind, nie glücklich machen und das Schicksal anklagen, statt ruhig zu gestehen: ich will lieben und leben, wie Helena und Aspasia gelebt haben. Die Natur kennt keine Dauer in dem Verhältnis von Mann und Weib.»

«Gnädige Frau —»

«Lassen Sie mich ausreden. Es ist nur der Egoismus von einem Mann, der das Weib wie einen Schatz vergraben will. Alle Versuche, durch heilige Zeremonien und Eide sind gescheitert. Können Sie leugnen, dass unsere christliche Welt in Fäulnis übergegangen ist?»

«Aber —»

«Aber der einzelne, der sich gegen die Einrichtungen von der Gesellschaft empört, wird ausgestoßen, wollen Sie sagen. Nun gut. Ich wage es, meine Grundsätze sind recht heidnisch. Ich will mein Dasein ausleben. Ich verzichte auf euren Respekt. Ich ziehe es vor, glücklich zu sein. Die Erfinder von der christlichen Ehe haben gut daran getan, auch gleich dazu die Unsterblichkeit zu erfinden. Ich denke nicht daran, ewig zu leben. Was habe ich davon, ob mein reiner Geist in den Chören der Engel mitsingt? Sobald ich aber, so wie ich bin, nicht fortlebe, aus welcher Rücksicht soll ich dann entsagen? Einem Mann angehören, den ich nicht liebe. Bloß deshalb, weil ich ihn einmal geliebt habe? Nein, ich entsage nicht. Ich liebe jeden, der mir gefällt, und mache jeden glücklich, der mich liebt. Ist das häßlich? Nein, es ist mindestens weit schöner, als wenn ich mich grausam der Qualen freue, die meine Reize erregen. Ich kehre mich tugendhaft von dem Armen, der um mich verschmachtet. Ich bin jung, reich und schön, und so, wie ich bin, lebe ich heiter dem Vergnügen, dem Genuss.»

Ich habe ihre Hände ergriffen, ohne recht zu wissen, was ich mit ihnen anfangen wollte. Aber als echter Dilettant ließ ich sie jetzt wieder eilig los.

«Ihre Ehrlichkeit», sagte ich, «entzückt mich, und nicht diese allein —» Wieder der verdammte Dilettantismus, der mir den Hals mit einem Hemmseil zuschnürt.

«Was wollten Sie doch sagen…»

«Was ich sagen wollte – ja, ich wollte – vergeben Sie – meine Gnädige – ich habe Sie unterbrochen.»

«Wie?»

Eine lange Pause. Sie hält einen Monolog, der, in meine Sprache übersetzt, sich in das einzige Wort «Esel» zusammenfassen lässt[20].

«Wenn Sie erlauben, gnädige Frau», begann ich endlich, «wie sind Sie zu diesen – zu diesen Ideen gekommen?»

«Sehr einfach, mein Vater war ein vernünftiger Mann. Ich war von der Wiege an mit Abgüssen antiker Bildwerke umgeben. Ich las mit zehn Jahren den Gil Blas, mit zwölf die Pucelle. Wie andere in ihrer Kindheit den Däumling, Blaubart, Aschenbrödel, nannte ich Venus und Apollo, Herkules und Laokoon meine Freunde. Mein Gatte war eine heitere, sonnige Natur. Nicht einmal das unheilbare Leiden konnte seine Stirne jemals für die Dauer trüben. Noch die Nacht vor dem Tod nahm er mich in sein Bett und während der vielen Monate, wo er sterbend in seinem Rollsessel lag, sagte er öfter scherzend zu mir: ›Nun, hast du schon einen Anbeter?‹ Ich wurde schamrot. ›Betrüge mich nicht‹, fügte er einmal hinzu, ›das fände ich häßlich, aber suche dir einen hübschen Mann aus, oder lieber gleich mehrere. Du bist ein braves Weib, aber dabei noch ein halbes Kind, du brauchst Spielzeug.‹ Es ist wohl nicht nötig, Ihnen zu sagen, dass ich, solange er lebte, keinen Anbeter hatte, aber genug. Er erzog mich zu dem, was ich bin, zu einer Griechin.»