Goethe spricht vom dämonischen Charakter der Französischen Revolution und des Erdbebens von Lissabon. Er sagt Eckermann, das Dämonische manifestiere sich sowohl in den Begebenheiten, „die wir durch Vernunft und Verstand nicht aufzulösen vermögen“, als auch „in der ganzen Natur, in der unsichtbaren, wie in der sichtbaren“ (2. März 1831 [Eckermann 1987: 439]). Die Verwandtschaft der Revolution mit einem Naturprozess unterstreicht Goethe in „Maximen und Reflexionen“: „Jede Revolution geht auf Naturzustand hinaus, Gesetz- und Schamlosigkeit“ [Goethe 1988, XII: 380]. Wie kann aber die Natur mit der Gesetzlosigkeit der Revolution in Verbindung stehen? „Naturzustand“ bedeutet für Goethe hier das Hinausgehen des Menschen über die Grenzen des Verstandes und der Vernunft bzw. über die Grenzen der Ordnung, worin Goethe eine große Gefahr sah. Wo die Vernunft aufhört, die Situation zu kontrollieren, gewinnt das Dämonische sein Recht. In „Maximen und Reflexionen“ äußert sich Goethe [1988, XII: 379] so: „Es ist besser, es geschehe dir Unrecht, als die Welt sei ohne Gesetz. Deshalb füge sich jeder dem Gesetze“.

In der „Belagerung von Maynz“ (25. Juli) schrieb Goethe ebenfalls in diesem Sinn: „Ich will lieber eine Ungerechtigkeit begehen als Unordnung ertragen“ [1988, X: 391]. Hans-Jürgen Schings [2009: 62] bemerkt mit Recht, dass man, bevor man diese Aussage – sich über den Kontext hinwegsetzend – als Teil des typischen Diskurses des „Fürstendieners“ kennzeichne, zuerst präziser bestimmen müsse, was der Dichterfürst unter „Ungerechtigkeit“ und „Unordnung“ verstanden hat. Die Aussage Goethes bildet das Schlusswort der Erzählung von der Rettung eines in dem von deutschen Truppen wiedereroberten Mainz eingeschlossenen Revolutionärs, den die Menge zum Opfer ihrer Rache gewählt hat. Die nicht gelungene Selbstjustiz vor dem Quartier des Herzogs beschreibt Goethe als „Unordnung“, die er nicht ertragen kann – deswegen rettet Goethe den ehemaligen Feind. Doch der Volkszorn scheint ihm gerechtfertigt, Goethe nennt die Wut der Menge „höchst verzeihlich[]“ [Goethe 1988, X: 391]. Auch „das schrecklichste aller Ereignisse“, die Französische Revolution selbst, konnte Goethe als gerechtfertigt anerkennen;7 sie hatte ihren Grund in der Zerstörung der Dämme, die die Flut des Volkszornes zurückhielten. Doch die Gesetzlosigkeit und die Unordnung, die sie zur Folge hatte, waren viel schrecklicher als die Ungerechtigkeit, gegen die das Volk aufgestanden war. Die Folgen der Unordnung – Tyrannei und Zerstörung – schienen Goethe das Schrecklichste. In einem der „Venetianischen Epigramme“ schreibt er:

Frankreichs traurig Geschick, die Großen mögen‘s bedenken;
Aber bedenken fürwahr sollen es Kleine noch mehr.
Große gingen zugrunde doch wer beschützte die Menge
Gegen die Menge? Da war Menge der Menge Tyrann
[Goethe 1988, I: 180].

Die Unordnung, von der Goethe schreibt, die Entmachtung der Vernunft, zeigt sich auch in Begebenheiten anderer Art, die allerdings meist als Parallelen zu den revolutionären Vorgängen verstanden werden können. Es sind Begebenheiten, die im aufgeklärten Menschen leidenschaftliches Interesse an allem Mysteriösen und Geheimnisvollen wecken. Symptomatisch scheint hier die Figur Cagliostros, die Goethe im „Groß-Cophta“ mit der Erweckung des Dämons der Revolution verknüpft. Auch die geheimnisvollen Geschichten aus den „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten“ heben den irrationalen und unvorhersehbaren Charakter der Revolution hervor [vgl. Conrady 1988: 109].