Sechs Protagonisten kommen aus Russland, wobei die Petersburger (die Piatovs, die Peskins, die Pozners) gegenüber den Moskauern (die Resniks und die Polians) in der Überzahl sind. Noch drei Hauptfiguren kommen aus der Ukraine, unter anderem aus Kiew (die Berditschevskis), Odessa (die Weinbergs) und Saporoschje (die Lwow-Brodskijs), eine – aus Moldau (die Familie Etlis). Bemerkenswert ist, dass sich bei der Betrachtung der Geburtsorte eine ganz andere Konstellation ergibt: Nur bei den Leningradern Nelli Pozner und Filipp Piatov sowie beim Moskauer Mark Polian stimmen der Geburts – und der Auswanderungsort überein. Es stellte sich heraus, dass viele andere aus Weißrussland stammen – aus Minsk (Anna Resnik), Puchowitschi bei Minsk (Sofia Piatova), Polozk (Bella Polian) und Gorodok (Lev Peskin). Die zwei Protagonisten, die aus der Ukraine kamen, wurden auch dort geboren, allerdings in den anderen Städten: Eduard Berditschevskij verließ seinerzeit Kiew und nicht die Heimatstadt Schytomyr, und Miron Lwow-Brodskij reiste aus Saporoschje – nicht aus der Heimatstadt Dnepropetrowsk – ab. Einige Personen wurden gar nicht in der UdSSR, sondern in Rumänien geboren: Abram Weinberg (in Balta) und Emil Etlis (sogar in Bukarest!), aber auch dem Eli Kligler – gebürtig aus Czernowitz, das 1941 schon sowjetisch war – machte die rumänische Macht zu schaffen, wenngleich sie eine Besatzungsmacht war. Hinter diesen kargen Angaben zu Geburts– und Auswanderungsorten (das Immigrationsziel – Freiburg und seine Umgebung – war bei allen gleich) verstecken sich äußerst persönliche jüdische Schicksalskurven, die in der Regel durch unglaublich lange Wege und tausende dabei zurückgelegte Kilometer gekennzeichnet sind. Diese etwas künstliche, oder genauer gesagt ihnen allen aufgezwungene, Übermobilität ist unmittelbar sowohl mit dem deutschen Einmarsch in der Sowjetunion (der für diejenigen Erzähler, denen Ghettos und die Blockade von Leningrad erspart blieben, «nur» die Evakuierung ins Innere der UdSSR bedeutete) als auch mit dem sowjetischen staatlichen Antisemitismus, der viele von ihnen auf der ewigen Suche nach für die Juden erlaubten Studien– oder Arbeitsplätzen von Ort zu Ort trieb, verbunden.
Nur von zwei Protagonisten dieses Buches kann man kurzerhand sagen, dass das Judentum und jüdische Tradition von Anfang an einen würdigen Platz in ihrem Leben einnahmen – das sind Klaus Teschemacher und Sofia Piatova. Bei den anderen war es nicht so. Der Hauptgrund dafür war die bekannte Besonderheit des sowjetischen Judentums als einer säkular-atheistischen Gesellschaft. Das macht sich in den Geschichten geltend, indem manche unserer Protagonisten überhaupt gestehen, dass sie eine Synagoge zum ersten Mal erst in Freiburg besucht haben. Hier, in Freiburg, gingen eine Zeit lang nahezu alle der Erzähler in die Synagoge: Die einen nur an den großen Festtagen, die anderen jeden Schabbat, die dritten, mit der Synagoge zusätzlich durch kulturelle Interessen verbundenen, auch an Werktagen. Manche gestanden, dass sie nur hier, in Freiburg, für sich die Synagoge, sprich das Judentum, entdeckt haben, sei es auch erst am Lebensabend. Einige Hauptfiguren des Buches (z. B. Nelli Pozner und Filipp Piatov) sind keine Gemeindemitglieder, weil sie von nichtjüdischen Müttern geboren wurden und somit gemäß den halachischen Vorstellungen keine Juden sind. Ihre Zeitgenossen und Mitbürger in der UdSSR würden darüber natürlich nicht schlecht staunen. Gemeint sind dabei vor allem unter anderem Personalbearbeiter und Judenhasser, insbesondere diejenigen, die den bekannten Spruch «Es wird ins Gesicht geschlagen – nicht in den Pass» im Leben verwirklichten. Die Mitarbeiter der deutschen und israelischen Konsulate, die jüdische Aus – beziehungsweise Rückwanderer sowohl «nach der Mutter» als auch «nach dem Vater» registrieren, wissen das auch, verstehen das vielleicht aber nicht voll und ganz.